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Christa Lieb – Autorin

»Lesefrüchtchen« September

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Leseprobe »Ein Sommer in Blue Bay«

(…) Er hatte seinen Bart gestutzt, sich gründlich die Zähne geputzt und versucht, seine widerspenstigen Haare zu bändigen. Die Fingernägel waren sauber; genauso wie seine Kleidung. Es gab keinen Grund, den Gang hinüber zu Selma Hudson noch länger hinauszuzögern.

Obwohl er sich danach sehnte, sie endlich wiederzusehen, hatte er unbändige Angst vor diesem Treffen. Was erwartete ihn?

Norman wies seinen leise winselnden Hund mit Nachdruck an, auf seinem Platz zu bleiben, zog sich die Jacke über und verließ mit einem mulmigen Gefühl das Haus.

***

Als Selma Hudson ihm die Tür öffnete, kam sie ihm vor wie immer. Um genauer zu sein, so, wie vor den ganzen Verwicklungen und falschen Verdächtigungen. Kurzum, souverän, wie es sich für eine der angesehensten Frauen der Stadt gehörte.

Das hatte er nicht erwartet. Und nun verspürte er nicht etwa Erleichterung, sondern … Wut. Ja, Wut war das richtige Wort. Wie konnte sie hier vor ihm stehen, perfekt und geschmackvoll gestylt, während seine Seele seit Tagen auf einem Nagelbett der Verzweiflung nächtigte?

»Schön, dass Sie da sind.« Sie lächelte ihn freundlich an und hielt ihm ihre feingliedrige Hand entgegen.

Er griff behutsam zu und in diesem Moment bekam seine Wut Risse. Oh nein, Selma Hudson war bei weitem nicht so souverän, wie sie ihm vorgaukelte. Sie konnte ihre Aufgeregtheit einfach nur besser verbergen … Bis zu dem Punkt, an dem sie ihm ihre eiskalte, flattrige Hand reichte. Da verstand er. Auch ihr war mulmig zumute. Auch sie wusste nicht, was der Abend bringen würde. Und endlich konnte er ihr ein Lächeln schenken. Zumindest in diesem Punkt waren sie sich also einig und auf Augenhöhe.

***

Selma servierte ein vorzügliches Essen. Die Steaks waren auf den Punkt gegart, das Brot noch lauwarm und knusprig, der Salat mit einem außergewöhnlich würzigen Kräuterdressing angemacht. Gläser, gefüllt mit schwerem, trockenem Rotwein, funkelten im Kerzenschein. Das Tischtuch und die passenden Servietten waren blütenweiß; ein bunter Rosenstrauß verströmte einen betörenden Duft.

Sie hatte sich erkennbar viel Mühe gegeben, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.

Nachdem sich die erste Befangenheit gelegt hatte, unterhielten sie sich über ihre Arbeit in der Bücherei und seine im Nationalpark und über die hohen Temperaturen, die für den gerade beginnenden Sommer nichts Gutes ahnen ließen. Auch Linda Sinclair war ein Thema. Selma erzählte ihm, dass Linda ihr seit einer Weile in der Bücherei zur Hand ging und wie gut sie sich mit der neuen Freundin verstand.

Obwohl Selma freundlich zu ihm war, lagen während der ungezwungenen Plauderei auch verschiedenste Emotionen in der Luft; unausgesprochene Worte, die ihnen beiden auf der Seele zu brennen schienen.

Norman hätte sich weiß Gott einen angenehmeren Grund vorstellen können, mit Selma Hudson einen Abend zu verbringen. Noch hoffte er, sie würde das verflixte Thema nicht mehr ansprechen; es auf sich beruhen lassen. Er hatte sich geirrt. (…)

 

Als Taschenbuch und eBook in allen gängigen Onlineshops erhältlich

Christa Lieb ©

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Autor: Christa Lieb

 

2 Kommentare

  1. Einfach super. Weiter so ! 👍

  2. Vielen Dank, mein Lieber …

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