Maskerade
Sie hatte sich diese Verrücktheit ausgedacht und nun gab es kein Zurück. Eine lang vermisste Aufgeregtheit nahm Besitz von ihr. Mit allen Sinnen genießen. Genau das würde sie tun.
Nach einer kleinen Ewigkeit war sie endlich mit ihrem Äußeren zufrieden. Sie hatte sich intensiv auf das kleine Abenteuer vorbereitet. Atemberaubende Winzigkeiten bedeckten wenige Regionen ihres Körpers. Ein kostbarer, geheimnisvoller Duft umhüllte sie. Ihr Spiegelbild zeigte erwartungsvolle Augen. Ein Hauch von Nylon umhüllte ihre noch immer tadellosen Beine, die in hochhakigen Schuhen endeten. Aufmunternd lächelte sie sich zu und leerte das Glas Prosecco in einem Zug. Erst unsicher, dann immer souveräner schritt sie mit ihrem ungewohnten Schuhwerk hin und her; übte einen aufreizenden Hüftschwung.
Ein Blick auf die Uhr trieb sie zur Eile. Sie streifte sich das sündhaft teure Kleid über und war zufrieden. Es saß perfekt; wie eine zweite Haut. Die Investition hatte sich gelohnt. Das Spiel konnte beginnen. Sie atmete tief durch, versuchte ihr wild klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Dann verließ sie das Hotelzimmer und fuhr mit dem Lift hinunter in die Lobby. Auf dem Weg zur Piano-Bar folgten ihr viele bewundernde Blicke. Sie perlten über ihren Körper und erzeugten Gänsehaut.
Gedämpftes Stimmengewirr empfing sie. Die überaus hübsche Studentin am Piano zeigte ihre Fingerfertigkeit und entlockte dem Instrument traumhaft schöne Melodien. Aufgeregt schaute sie sich in dem dezent beleuchteten Raum um. Nach kurzer Zeit fanden ihre Augen das Ziel. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Da saß er. Der Mann mit den braunen Augen, die so sanft und auch so schelmisch blicken konnten. Sie gab sich einen Ruck. Zielstrebig ging sie auf die freie Stelle an der Bar zu.
»Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei?« Aus seinen Gedanken aufgeschreckt, hob er überrascht den Kopf, lächelte kurz und zeigte mit einem »Bitte« auf den freien Hocker neben sich. Betont lässig schwang sie sich auf das für sie ungewohnte Möbelstück und bestellte beim freundlichen Barkeeper einen Kir Royal. Krampfhaft überlegte sie, wie sie mit dem Objekt ihres Interesses ins Gespräch kommen könnte. Sie hielt sich an ihrem Glas fest, wurde immer nervöser. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sollte sie aufgeben? Mit einem Mal kam ihr alles lächerlich vor. Sie war nun wirklich nicht zum Vamp geeignet. Viel zu realistisch und bodenständig waren die gängigen Meinungen über sie.
Sie sprach sich Mut zu, suchte zaghaft Blickkontakt, hob ihr Glas und trank ihm zu. »Die junge Dame spielt hervorragend Klavier«. Mein Gott, fiel ihr den kein niveauvolleres Thema ein? Immerhin hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. Er wandte sich ihr zu. Erst stockend und dann immer müheloser lief die Unterhaltung. Sie hatten sich viel zu erzählen: Musik, Literatur, Politik. Über Gott und die Welt konnten sie reden. Nach dem dritten Kir Royal wurde sie mutiger. »Haben Sie Lust zu tanzen?« Sie flirtete, was das Zeug hielt. Amüsiert folgte er ihr auf die Tanzfläche. Sie harmonierten gut. Es war eine Freude sich von ihm über das gut besuchte Quadrat führen zu lassen. Sie ließen keinen der nächsten Tänze aus, folgten wildem Rock‘n Roll, Fox, Tango, dem ganzen Repertoire. Die Zeit flog dahin und schließlich wurde der letzte Tanz angekündigt. Sanfte, ruhige Klänge waren zu vernehmen. Sie schmiegte sich an ihn. Er kam ihr so vertraut vor. Oh ja, in ihn könnte sie sich verlieben. Halt. Was waren das bloß für Gedanken? Sie suchte ein aufregendes Abenteuer, wollte diesen Abend und die Nacht genießen. Danach würde sie weiter sehen.
Sie sahen sich tief in die Augen. Gleichklang. Wortlos waren sie sich einig, dass dies noch nicht das Ende ihrer Begegnung sein sollte. Schweigend verließen sie die Bar und fuhren mit dem Lift nach oben zu ihrem Zimmer. Mit zitternden Händen öffnete sie die Tür. Er folgte ihr. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, küssten sie sich atemlos. Dann nahm sie ihren Ehemann zärtlich bei der Hand …
Chrilie ©
