schreib(t)räume

Christa Lieb – Autorin

Lesefrüchtchen

| Keine Kommentare

Leseprobe Wenn das Leben Schatten wirft

 

Edward Berger holte am Samstagvormittag die Post aus seinem Briefkasten und warf bei dieser Gelegenheit einen kritischen Blick zum Himmel, wo bereits wieder Blau zwischen noch immer zahlreiche Wolken zu sehen war.

Er sah hinunter auf die Stadt, die zwischen den bewaldeten Hügeln in leichtem Dunst lag. Die Türme der Marktkirche ragten mit ihren Spitzen aus dem wattigen Weiß.

Scheint ein Ende zu haben mit dem Regen, dachte er zufrieden. Dann steht meinen Plänen nichts mehr im Weg.

Flüchtig sah er den Stapel durch. Ein Umschlag ohne Absender erregte seine Aufmerksamkeit.

Er schloss die massive, mit kunstvoll geschnitzten Ornamenten versehene Haustür, ging in sein Arbeitszimmer und setzte sich an seinen Schreibtisch. Mit dem japanischen Brieföffner aus Mokume-Gane-Damast, dem Mitbringsel eines guten Freundes, zerteilte er den Umschlag im Falz mit einer energischen Handbewegung.

Als er den Inhalt vor sich auf der Tischplatte ausbreitete, verging ihm die Vorfreude auf das geplante Golfspiel mit seinem Kollegen. Gestochen scharfe Fotos zeigten ihn und diese sehr junge Frau aus dem »Daisys« in anstößigen Posen.

Ihm wurde heiß vor Scham. Wie oft hatte er sich schon vorgenommen, diesen Klub zu meiden? Aber wenn die Lust in den Lenden ihn um seine Ruhe brachte, verwarf er die guten Vorsätze und jagte mit hoher Geschwindigkeit Richtung Frankfurt. Voll pochender Erwartung, hinein ins Verhängnis, wie sich jetzt herausstellte.

Noch ehe er die beigefügte Nachricht gelesen hatte, wusste er, von wem sie kam: Pavlovsky. Nach dessen Verschwinden hatte er sich wohl zu Unrecht in Sicherheit gewähnt. Er hätte es besser wissen müssen.

Dieser Teufel ließ niemanden ohne Not aus seinen Fängen. Das bekam schon Goethes Faustus zu spüren, dachte er ernüchtert.

Er faltete das Blatt auseinander und sah sich in seiner Befürchtung bestätigt.

»Halten Sie sich zu meiner Verfügung«, stand da zu lesen. Ein Satz. Unmissverständlich.

Edward Berger wusste, was das zu bedeuten hatte: Pavlovsky eröffnete ein neues Spiel und hatte ihn als eine seiner Schachfiguren auserwählt.

Christa-Lieb-Wenn-das-Leben-Schatten-wirft_IIVerl

 

 

 

 

 

 

 

http://www.xinxii.com/adocs.php?aid=29846

Autor: Christa Lieb

 

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.