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Christa Lieb – Autorin

Lesefrüchtchen

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Weihnachtspalmen

Weihnachtsmann

Foto chrilie

Nun war es wieder so weit. Weihnachtsmänner an Regenrinnen und hinter den Fenstern Kerzenschein und Jingle Bells. Das von gewieften Werbestrategen gemanagte Familienfest stand bevor. Kaum einer fragte noch nach dem eigentlichen Sinn dieser Tage. Stern von Bethlehem, das Kind in der Krippe? Schulterzucken.

Die Nikoläuse, die seit September in den Regalen standen, schauten stumm vor sich hin. Es hatte den Anschein, als sehnten sie ungeduldige Menschenhände herbei, die den bunten Glanz beseitigen und dem täglichen Einerlei ein Ende bereiten würden. Gestresste Leute hasteten seit Tagen durch die Straßen, bepackt mit unzähligen bunten Tüten voller Wohlstandsschlemmerei und unnützem Kram für die Lieben.

Man müsste dem ganzen Trubel einfach entfliehen; sich davon machen in fremde Gefilde, die kein Lametta und keinen Weihnachtsbaum kennen und in denen süßer die Glocken nicht klingen.

“Wenn ich nur an Tante Hertas Eierpunsch denke. In diesem Jahr findet der Stress ohne mich statt. Ich verschwinde – möglichst weit weg. Dorthin, wo es Palmen gibt.”

Verständnislos sah ihr Mann sie an. Seine Gesichtsfarbe wechselte von blass nach dunkelrot. Wütend schnaubte er: “Tu doch was du willst. Ich jedenfalls bleibe hier. Palmen an Weihnachten. Du spinnst ja!”

Verärgert stand er auf und ließ sie einfach sitzen. Jetzt war es an ihr, wütend zu werden. Was bildete sich dieser Kerl nur ein? Konnte er ihr nicht einmal entgegen kommen und ihr den ganzen Weihnachtsfirlefanz ersparen? Entschlossen stand sie auf, holte den Koffer vom Dachboden und bepackte ihn mit Kleidung für ein paar ruhige Tage unter Palmen. Jawohl Palmen! Kein Weihnachtsbaum, der schon an Heiligabend seine Nadeln verliert. Zum Schluss noch die Winzigkeit aus Lycra mit Tigerfellmuster, die sich Bikini nennt, dann klappte sie zufrieden den Deckel zu. Reisepass und Kreditkarte und nichts wie weg.

Am Flughafen kam das böse Erwachen. Anscheinend hatte in diesem Jahr niemand Lust auf nadelnde Weihnachtsbäume. Die ganze Nation schien unterwegs zu sein, um sich unter Palmen einen winterlichen Sonnenbrand zu holen. Keine Last-Minute-Angebote. Sorry, alle Palmen sind belegt. Nach zwei Stunden gab sie ihren spontanen Plan auf. Zurück nach Hause, ihm eingestehen, dass nix war mit ab in die Sonne? Niemals! Dann würde sie eben hier in Frankfurt bleiben. Nach dem Trubel am Flughafen zu schließen, musste die Stadt leer sein. Und leer bedeutete, jede Menge Zimmer für ihr müdes Haupt und ihre gereizten Nerven. Und sie wurde tatsächlich schnell fündig. Doch schon nach wenigen Tagen kam Langeweile auf. Um ihr zu entgehen, schlüpfte sie in ihren überdimensionalen Mantel, schlang sich den Wollschal um den Hals, zog ihn hoch über beide Ohren und trat hinaus auf die Straße, auf der ihr ein eisiger Ostwind entgegen pfiff. Die Kälte trieb ihr Tränen in die Augen. Die Kälte? War es nicht eher das Erstaunen darüber, dass da nichts war? Gedanken, Gefühle, Menschen. Mit einem Mal waren sie verschwunden, hatten sich davon gemacht. Sie war allein.

Blindlings setzte sie einen Fuß vor den anderen, überquerte Straßen, lief ziellos durch Häuserschluchten. Die bunten Lichter der Schaufenster huschten über ihr Gesicht. Irgendwann saß sie auf einer Bank an der Uferpromenade. Vor ihr gurgelte der Fluss behäbig ein Schlaflied. Gegenüber, am anderen Ufer, reckten die hell erleuchteten Zentren des Kapitals arrogant ihre Turmspitzen in den nächtlichen Himmel. Sie musste unbedingt ihren Mann anrufen. Nach dem ersten Klingelton meldete er sich und sie erzählte ihm von ihrem Traumurlaub unter Palmen. Von über 30 Grad, strahlend blauem Himmel von morgens bis abends, jeder Menge Palmen, Dattelpalmen und von Ali und dem Hai.

Von wegen 30 Grad. Unaufhaltsam kroch Kälte durch ihren Körper. Sie lehnte den Kopf zurück und starrte hinauf zu den unzähligen Sternen. Drüben hatte sich inzwischen die Mondsichel in einem hohen Baum aufgehängt. Sie war müde, wollte nur noch schlafen. Erschöpft schloss sie die Augen.

Plötzlich plärrte ein Radio. Selbst im Himmel gibt es keinen Frieden, dachte sie enttäuscht und öffnete zögernd die Augen. Als sie den Kopf zur Seite drehte, blickte sie in das von Schlaf zerknautschte Gesicht ihres Mannes. Friedlich schlummernd lag er unter einem Berg weicher Daunen neben ihr. Fröstelnd rieb sie sich über ihre eiskalten Arme. Das Radio plärrte noch immer. Und dann verstand sie jäh. Ein Traum! Sie hatte geträumt. Erleichtert beförderte sie ihre Bettdecke vom Fußboden zurück auf ihren Körper. Sie kuschelte sich hinein, stopfte dem nervigen Radio den Mund, schloss die Augen und genoss es, als endlich Wärme durch ihren Körper strömte.

“Was hältst du davon, in diesem Jahr Weihnachten unter Palmen zu feiern?”, hörte sie ihn murmeln.

chrilie

 

Autor: Christa Lieb

 

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