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Christa Lieb – Autorin

Lesefrüchtchen

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Foto chrilie

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Träumerei

Das monotone Rattern des Zuges und die eintönige Landschaft, die am Fenster vorbei flog, machten sie schläfrig. Bis spät in die Nacht hatte sie ihre Unterlagen für den Workshop überarbeitet. Noch eine Stunde bis zum Ziel.

Erinnerungen führten sie Jahre zurück. Sie war bei ihrer Band. Buffy am Schlagzeug, Carl zupfte selbstverliebt am Bass, Charly und Tim stimmten ihre Gitarren. Simon gab ihnen am Keyboard den Ton vor. Sie probten hart, jeder Ton musste sitzen. Ihre Stimmbänder glühten. Doch das Ziel rechtfertigte jede Anstrengung. Heute war der Tag, auf den sie lange gewartet hatten. Endlich konnten sie zeigen, was in ihnen steckt. Heute sollte der Durchbruch gelingen. Aufmunternde Worte, gegenseitiges Mut machen, Schulter klopfen.

Als sie abends im Odeon ankamen, wurden sie vor Ehrfurcht ganz still. Nie zuvor hatten sie auf einer derart großen Bühne gestanden. Die Schmetterlinge im Bauch flogen Amok. Ihr war übel. Auf keinen Fall würde sie da hinaus gehen. Sie musste.

Ein letzter Soundcheck, ein kontrollierender Blick in den Spiegel, tief durchatmen und los. Die riesige Halle war voller Menschen, die erwartungsvoll dem großen Star des Abends entgegen fieberten. Die unbekannte Vorband wurde nur am Rande registriert, bekam freundlichen Applaus. Doch für sie war es das Ereignis ihres Lebens.

Ein letzter aufmunternder Blick in die Runde. Sie ging in die Pole Position, war die Frontfrau. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, die feuchten Hände konnten kaum das Mikrofon halten. Scheinwerferlicht hüllte sie in gleißendes Licht; vor ihr tat sich ein schwarzes Loch auf. Buffy gab mit den Stöcken den Takt vor: tack, tack, tack. Die Gitarren folgten ihm, sie fanden sich, es klang perfekt. Achtung! Gleich kam ihr Einsatz. Volle Konzentration, den Takt einfangen, die Stimmung. Jetzt!  Es war soweit. Sie holte tief Luft, öffnete den Mund … und bekam keinen Ton heraus. Sie war einer Ohnmacht nah.

Mit kreischenden Bremsen hielt der Zug. Sie schreckte zusammen, wagte kaum die Augen zu öffnen. Erleichtert stellte sie fest, dass sie nur geträumt hatte. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie musste unbedingt mal wieder die Jungs anrufen.

In Memoriam „Langer“

Christa Lieb ©

 

 

Autor: Christa Lieb

 

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