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Christa Lieb – Autorin

Lesefrüchtchen

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Noch einmal hervorgeholt und auf Vordermann gebracht …

Weihnachtspalmen_1Weihnachtspalmen

Nun war es wieder so weit. Weihnachtsmänner an Regenrinnen und hinter den Fenstern Kerzenschein und Jingle Bells. Das von gewieften Werbestrategen gemanagte Familienfest stand bevor. Kaum einer fragte noch nach dem eigentlichen Sinn dieser Tage. Stern von Bethlehem, das Kind in der Krippe? Schulterzucken. Die Nikoläuse, die bereits seit September in den Regalen standen, schauten stumm vor sich hin. Es hatte den Anschein, als sehnten sie die ungeduldigen kleinen Menschenhände herbei, die den bunten Glanz beseitigen und dem täglichen Einerlei ein Ende bereiten würden. Gestresste Leute hasteten seit Tagen durch die Straßen, bepackt mit unzähligen bunten Tüten voller Wohlstandsschlemmerei und unnützem Kram für die Lieben.

»Man müsste dem ganzen Trubel einfach entfliehen; sich davonmachen in fremde Gefilde, die kein Lametta und keinen Weihnachtsbaum kennen und in denen süßer die Glocken nicht klingen.«

Mit dem Unverständnis, das sie sich für diesen Vorschlag einhandelte, hatte sie gerechnet. Diesmal würde sie jedoch standhaft bleiben. Entschlossen holte sie den Koffer vom Dachboden und bepackte ihn mit Kleidung für ein paar ruhige Tage unter Palmen. Jawohl. Palmen. Kein Weihnachtsbaum, der schon an Heiligabend seine Nadeln verlor. Zum Schluss noch die neue Winzigkeit aus Lycra mit Tigerfellmuster, die sich Bikini nannte, dann klappte sie zufrieden den Deckel zu. Ein Griff nach Reisepass und Kreditkarte und nichts wie weg.

Am Flughafen kam das böse Erwachen. Anscheinend hatte in diesem Jahr niemand Lust auf nadelnde Weihnachtsbäume. Die ganze Nation schien unterwegs zu sein, um sich unter Palmen einen winterlichen Sonnenbrand zu holen. Keine Last-Minute-Angebote. Sorry, alle Palmen sind belegt.

Nach zwei Stunden gab sie ihren spontanen Plan auf. Zurück nach Hause, eingestehen, dass nix war mit »ab in die Sonne«? Niemals. Dann würde sie eben ein paar Tage hier in Frankfurt bleiben. Nach dem Trubel am Flughafen zu schließen, musste die Stadt nahezu leer sein. Und leer bedeutete, jede Menge Zimmer für ihr müdes Haupt und ihre gereizten Nerven. Tatsächlich wurde sie schnell fündig. Doch schon bald kam Langweile auf. Um der zu entgehen, schlüpfte sie in ihren Mantel, schlang sich den dicken Wollschal um den Hals, zog ihn hoch bis über beide Ohren und trat hinaus auf die Straße. Der eisige Ostwind, der ihr entgegen pfiff, trieb ihr Tränen in die Augen. War es wirklich die Kälte oder doch eher die bittere Erkenntnis, dass die Einsamkeit schmerzte?

Blindlings setzte sie einen Fuß vor den anderen, überquerte breite, leere Straßen, lief ziellos durch Häuserschluchten. Die bunten Lichter der Schaufenster huschten über ihr Gesicht. Irgendwann saß sie auf einer Bank an der Uferpromenade. Vor ihr gurgelte der Fluss behäbig ein Schlaflied. Am gegenüberliegenden Ufer reckten die hell erleuchteten Zentren des Kapitals arrogant ihre Turmspitzen in den nächtlichen Himmel.

Sie musste unbedingt zu Hause anrufen; von ihrem Traumurlaub unter Palmen erzählen. Von einem strahlend blauen Himmel und 30 Grad von morgens bis abends.

Von wegen 30 Grad. Unaufhaltsam kroch Kälte durch ihren Körper. Sie lehnte den Kopf zurück und starrte hinauf zu den unzähligen Sternen. Drüben hatte sich inzwischen die Mondsichel in einem hohen Baum aufgehängt. Sie war müde, wollte nur noch schlafen. Erschöpft schloss sie die Augen.

Plötzlich plärrte ein Radio. Selbst im Himmel gibt es keinen Frieden, dachte sie enttäuscht und öffnete zögernd die Augen. Als sie den Kopf zur Seite drehte, blickte sie in das vom Schlaf zerknautschte Gesicht ihres Mannes. Friedlich schlummernd lag er neben ihr unter einem Berg weicher Daunen. Fröstelnd rieb sie sich über ihre eiskalten Arme. Das Radio plärrte noch immer. Und dann verstand sie. Ein Traum. Sie hatte geträumt. Erleichtert beförderte sie ihre Bettdecke vom Fußboden zurück auf ihren Körper und kuschelte sich hinein. Dann stopfte sie dem nervigen Radio mit einem gezielten Handgriff den Mund, schloss die Augen und genoss die Wärme, die langsam durch ihren Körper strömte.

»Was hältst du davon, in diesem Jahr Weihnachten unter Palmen zu verbringen?«, hörte sie ihn murmeln.

Christa Lieb ©

 

Autor: Christa Lieb

 

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