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Christa Lieb – Autorin

Weihnachtszeit … Lesezeit

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Schon alle Geschenke besorgt oder fehlt noch die eine oder andere Kleinigkeit? Wie wäre es mit einem Buch?

Die Tage zwischen Weihnachten und Silvester, sind Tage zwischen den Zeiten und wie gemacht für gemütliche Stunden mit einem Buch. Meine Empfehlung:

Cover

Auszug Kapitel 2

Heute ging man besser nicht hinaus auf die Straße. Dort tobte seit Tagen ein Kampf. Die Luft war geschwängert von Geschrei, Warnschüssen und Rauchschwaden. In Memphis, Tennessee, hatten Rassisten Martin Luther King erschossen. Er hatte von Gleichheit und Versöhnung gepredigt, doch seine Gegner antworteten mit Hass und Gewalt.

Jahre des Kampfes lagen schon hinter ihnen. Und als in Birmingham, Alabama, vor den Augen der geschockten Nation eine außer Kontrolle geratene Polizeigewalt selbst demonstrierende Kinder niederknüppelte, schien es ein Umdenken zu geben. Präsident Kennedy und große Teile der Bevölkerung begannen, Martin Luther Kings Bewegung zu unterstützen. Doch jetzt waren beide tot. Die wenigen Jahre der Hoffnung auf Besserung schienen nur eine kurze Atempause gewesen zu sein. Viele hatten, erschöpft von den quälend langsamen Schritten in die ersehnte Gleichberechtigung, inzwischen dem gewaltlosen Widerstand abgeschworen. Malcolm X und Black Power waren die neuen Helden.

***

Durch die staubigen Scheiben des »Speedways« beobachtete John Franklin das Treiben; fragte sich mit gemischten Gefühlen, wo das noch enden sollte? Vor wenigen Jahren Kennedy und jetzt King.

Ein nicht enden wollender Zug von Menschen schob sich über die Kreuzung Fayette- und Liberty-Street. Geballte Fäuste, selbst gemalte Transparente, Fahnen streckten sich dem Himmel entgegen. Sie skandierten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; die Schlagworte der Französischen Revolution. Und auch hier schien sich eine Revolution anzubahnen.

(…)

***

Abends war im »Drive Inn« tatsächlich die Hölle los. Unter der Decke des Raumes hing der Qualm unzähliger bereits verglühter Zigaretten. Aus der hektisch blinkenden Jukebox, die in der Nische neben der Eingangstür stand, dröhnte Countrymusik. Am Tresen drängten sich durstige Männer, verlangten nach Bier und führten hitzige Debatten über die Vorkommnisse der vergangenen Tage.

John wusste nicht, wo ihm der Kopf stand, aber die Miete für den kommenden Monat war gesichert. Das einstmals blütenweiße Shirt mit dem verwaschenen, roten Schriftzug »Budweiser« klebte ihm am Körper und seine vom Schweiß feuchten hellbraunen Haare kringelten sich im Nacken zu kleinen Locken.

»Hey, Franklin, siehst aus wie eine Schwuchtel«, lästerte Burt Lebinski, als John sich mit einem vollbeladenen Tablett an ihm vorbeidrängte. »Ist diese Weiberfrisur deine Vorstellung von einem echten amerikanischen Kerl?«

Jeder der John Franklin ansah, musste Lebinskis Äußerung absurd finden. John Franklin war ein stattlicher Mann, dessen Muskeln auf den Besitz einer Dauerkarte für eines der Fitness-Studios, die zurzeit wie Pilze aus dem Boden schossen, hin deuteten. Nichts an ihm war »weibisch«.

Er verkniff sich eine böse Bemerkung, grinste nur und meinte: »Ein paar Kröten mehr von Ihnen, Boss, und ich könnte mir öfter einen Haarschnitt bei Dolly leisten.«

Lebinskis Augen verengten sich zu Schlitzen. »Du wirst nie mit den Großen pissen gehen, Franklin. Bring mir noch ein Bier, statt schlaue Reden zu schwingen.«

Mit stoischer Ruhe kam John der Aufforderung nach. Bald wäre seine Schicht und somit die Plagerei zu Ende. Zwei Etagen höher wartete ein halbwegs bequemes Bett auf ihn. Dort könnte er dann endlich in Ruhe an die Vorkommnisse des Nachmittags zurückdenken. Noch deutlich hatte er das schöne Gesicht der jungen Frau vor Augen. Er erinnerte sich daran, wie sie zusammengezuckt war, als er ihr das Blut notdürftig weggewischt und ein Pflaster auf die Wunde geklebt hatte. So zart war ihre Haut gewesen. Passend zu dem kaum wahrnehmbaren süßlichen Geruch nach Maiglöckchen, den sie verströmte. Er griff in seine Hosentasche und holte den kleinen Zettel hervor. »Amy Coleman« las er und lächelte verhalten. Er würde sie wiedersehen.

(…)

Christa Lieb ©

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Autor: Christa Lieb

 

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