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Christa Lieb – Autorin

15. März 2015
von Christa Lieb
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Lesefrüchtchen

Fortsetzung Lesefrüchtchen vom 15.02.2015

 

Foto: chrilie

Foto: chrilie

Auf und davon – Teil 2

 

Am nächsten Tag war alles wie immer. Pünktlich auf die Minute fuhr Hannes Diesel mit dem Schulbus an der Haltestelle vor und ließ die laut durcheinander schreiende Schülerschar einsteigen. Mit stoischer Ruhe ertrug er, dass im hinteren Teil eine wilde Keilerei angezettelt wurde und ihm nach einer Weile Papierflieger um den Kopf segelten.

Italien … Afrika …

Endlich war es geschafft; die Schule kam in Sicht. Bald würde Ruhe einkehren. Als der letzte Schüler verschwunden war, stieg er aus, öffnete die große Klappe an der Seite und überprüfte, ob sein Akkordeon richtig festgezurrt war. Zufrieden setzte er sich wieder hinters große Lenkrad und schob die Kassette mit seiner Lieblingsmusik ein; das Akkordeon schluchzte den Blues. Entschlossen trat er das Gaspedal durch und fuhr davon.

Italien … Afrika …

Als er zwei Stunden später mit seinem Bus den Irschenberg hinauf schnaufte, bat die nette Dame vom Verkehrsfunk um Aufmerksamkeit.

»Seit den frühen Morgenstunden wird in Heuersbach der Schulbus samt Fahrer vermisst«, vermeldete sie.

Er wurde vermisst, registrierte Hannes.

»… sachdienliche Hinweise bitte an die Polizei in Heuersbach.«

Endlich war der Berg überwunden und der Bus gewann an Fahrt. Hannes holte aus ihm heraus, was ging. Wenn er erst mal die Grenze hinter sich hatte, dann war’s geschafft und nichts und niemand konnte ihn mehr aufhalten. Doch was war das? Ein Polizeifahrzeug schob sich vor ihn, lotste ihn auf den nächsten Parkplatz. Aus der Traum, dachte er enttäuscht und brachte den Bus zum Stehen.

»Die Fahrzeugpapiere, bitte.«

Hannes griff in das Fach vor sich, streckte die Papiere durchs Seitenfenster und wartete resigniert auf die Anweisungen des Beamten.

»Danke und gute Fahrt.« Der Polizist tippte an seine Mütze und ging zurück zu seinem Fahrzeug.

Ungläubig starrte Hannes aus dem Seitenfenster. Dann begriff er, startete aufgeregt den Motor, legte den Gang ein und gab dem Bus die Sporen.

Italien … Afrika …

 

Chrilie © 

 

 

27. Februar 2015
von Christa Lieb
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Beeindruckende Geschichte

Vor einigen Tagen kam ich zu dem Schluss, mich von Ballast zu befreien und bin beim Aufräumen auf ein Buch gestoßen, das mich bereits vor Jahren, als ich es zum ersten Mal las, gefesselt hat. Es ist ein dünnes Buch; nur gut 100 Seiten. Doch die Geschichte, die es erzählt, ist von archaischer Kraft.

Piper Verlag

Piper Verlag

»Zwei alte Frauen« – Eine Legende von Verrat und Tapferkeit (erschienen im Piper Verlag, München, erhältlich bei amazon.de) – erzählt die Legende eines Nomadenstammes aus dem hohen Norden Alaskas, die von Generation zu Generation weitererzählt wurde, bis Velma Wallis, eine Nachfahrin dieses Stammes, sie 1993 aufgeschrieben hat, damit sie niemals vergessen wird.

Während eines bitterkalten Winters kommt es zu einer gefährlichen Hungersnot. Wie das alte Stammesgesetz es vorschreibt, beschließt der Häuptling, die beiden ältesten Frauen als »unnütze Esser« zurückzulassen, um den Stamm zu retten. In der Einsamkeit der eisigen Wildnis geschieht das Unglaubliche: Nachdem die beiden alten Indianerfrauen ihre Trauer und ihre Wut überwunden haben, beschließen sie, nicht aufzugeben. Sie besinnen sich auf ihre ureigenen Fähigkeiten, die sie längst vergessen geglaubt hatten und erteilen ihrem Volk so eine Lektion, die dessen Verhalten für alle Zeiten verändern wird …

Das erneute Lesen hat mich ins Grübeln gebracht. Mir ist bewusst geworden, dass man sich schnell von Dingen »befreit«, die sich im Nachhinein manchmal als kostbar und von unschätzbarem Wert herausstellen. Ich werde zukünftig noch achtsamer sein … Und mir ist (wieder einmal) bewusst geworden, dass man nicht aufgeben sollte, auch wenn man den Berg, der sich gerade vor einem auftürmt, für unüberwindbar hält.

chrilie ©

 

 

15. Februar 2015
von Christa Lieb
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Lesefrüchtchen

Foto: chrilie

Foto: chrilie

 

Auf und davon (Teil 1)

 

»Kennst du den Film ›Und ewig grüßt das Murmeltier‹?«, fragte Hannes Diesel seinen Kumpel Karl-Heinz.

Der nickte und sah ihn abwartend an. Er verstand die Frage nicht; wusste nicht genau, worauf Hannes hinaus wollte.

»Genau so verläuft mein Leben. Jeden Tag der gleiche Ablauf. Immer pünktlich auf die Minute, nie krank.«

»Sei doch froh«, meinte Karl-Heinz. »Mein Nachbar würde sicher gerne mit dir tauschen. Den haben sie schon vor drei Jahren entsorgt. Zu alt. Mit fünfzig!«

Hannes ging auf die Bemerkung mit keinem Wort ein. Was interessierte ihn der Nachbar von Karl-Heinz? Hier ging es um sein Leben, in dem er sich schon lange wie ein Hamster im Laufrad fühlte. Diesel, Busfahrer. Schon der Name musste für manchen derben Scherz herhalten. Ob sein Rußfilter in Ordnung sei, wurde er oft von einem der vorlauten Teenies gefragt. Sein Rußfilter, wohlgemerkt. Nicht etwa der des Busses.

Immer öfter träumte er davon, sein Akkordeon zu schnappen, in den Bus zu steigen und einfach an den schreienden Schulkindern vorbeizufahren. Immer weiter, immer vorwärts. Sich nicht um rote Ampeln und Dienstvorschriften zu scheren. Dahin, wo er endlich Hannes Diesel sein konnte und kein Hampelmann, den andere nach ihrer Pfeife tanzen ließen.

Altötting oder Wien kam ihm in den Sinn. Zu nah! Er wurde mutiger in seinen Überlegungen. Italien. Bis hinunter in die Stiefelspitze. Das wär’s. Und dann mit der Fähre hinüber nach Afrika. Ab in die Wüste; auf Nimmerwiedersehen. Die Gedanken ließen ihn nicht mehr los.

Italien … Afrika …

»Hast du das gesehen?«, schimpfte Karl-Heinz.

»Mmm … was?«

»Na, das Foul. Ein klarer Elfmeter. Und was macht der Schwarzkittel? Lässt weiter spielen … der blinde Fuchs!«

Nein. Hannes hatte nichts gesehen. Selbst der geliebte Fußball konnte heute nicht seine Aufmerksamkeit gewinnen. Er sah auf die Mattscheibe, wo Menschen wild gestikulierten. Sah all die bunten Fahnen und dachte: Ob mein Bus es über die Sandpisten schaffen würde?

»Was ist heute bloß los mit dir, Hannes? Interessierst dich noch nicht mal mehr dafür, dass unser Verein gerade beschissen wurde.«

»Was sagst du?«, brummelte Hannes.

»Ach nichts. Träum weiter. Reg ich mich halt alleine auf.« Karl-Heinz stand auf, zog seine Jacke an und warf noch einen besorgten Blick auf seinen Kumpel, ehe er sich enttäuscht auf den Heimweg machte.

Fortsetzung folgt …

Christa Lieb ©

 

15. Januar 2015
von Christa Lieb
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Lesefrüchtchen

 

Foto: chrilie

Foto: chrilie

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gedanken zu den sich täglich wiederholenden Meldungen über mangelnde Empathie und fehlendes Verständnis:

Zustandsbericht


Nachdenklichkeit
sitzt auf dem
Tellerrand der Seele
Traurigkeit
liegt in der Tiefe
schwer wie Stein
Klärende Worte
bleiben hinter
verschlossenen
Lippen gefangen
In Starre gegossen
reiht sich Tag an Tag
Kein Signalfeuer
erleuchtet den Horizont
Gemeinsamkeiten
bleiben versteckt
unter dem Schutt
falscher Erwartungen

 

 

Christa Lieb ©